Digitale Barrierefreiheit

Strukturen, Expertisen und Ressourcen für
digitale Barrierefreiheit in der Hochschullehre

 
Gastgeberin:

Karin Kleinn
Abteilung E-Learning am Rechenzentrum der Universität Freiburg
und im Projektverbund der baden-württembergischen Universitäten PePP

 

KERNAUSSAGEN

  • Digitale Barrierefreiheit ist kein "nice to have", sondern wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Digitalisierung der Hochschullehre.
  • Proaktive und reaktive Ansätze für chancengleiche Studienbedingungen unterscheiden sich in Aufwand und Wirksamkeit.
  • Von Good-Practice-Beispielen und innovativen Lösungen, die "Schule machen", sollten möglichst viele Hochschulmitglieder profitieren.
  • Die Berücksichtigung digitaler Barrierefreiheit führt zu einer Qualitätssteigerung in der Lehre, die allen nützt.

 
Es gehört zu den Erfahrungen der Pandemie, dass das Gelingen der digitalen Lehre und der entsprechende Zugang zu digitalen Angeboten mehr oder minder vorausgesetzt wurde. Und es gehört zu den Lehren der Pandemie, dass weder das eine noch das andere einfach vorausgesetzt werden kann. Inzwischen ist klar: Digitale Barrierefreiheit ist kein "nice to have", sondern die Grundlage für eine gelingende Digitalisierung. Das heißt, allen Beteiligten muss ein freier, fairer und datenschutzkonformer Zugang zu allen digitalen Formaten und Angeboten gewährt sein. Deshalb, so die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Thementisch, sollte das Querschnittsthema "Digitale Barrierefreiheit" an allen Hochschulen Berücksichtigung finden.

Gerade in der Hochschullehre komme es darauf an, chancengerechte Bedingungen zu schaffen. Gastgeberin Karin Kleinn von der Universität Freiburg wies darauf hin, dass man genau genommen zwischen zwei Ansätzen unterscheide: zwischen dem proaktiven Herstellen von barrierefreien Studienbedingungen und dem reaktiven Herstellen chancengleicher Studienbedingungen nach individuellen Standards. Im ersteren Fall könnten im Idealfall alle ohne Einschränkungen studieren; im zweiten Fall würden die Bedingungen für bekannte Studierende spezifisch angepasst. Die Erfahrung zeige, dass überwiegend die reaktive Vorgehensweise als Lösung favorisiert würde. Meist falle diese Entscheidung aufgrund mangelnder Ressourcen. Tatsächlich aber gehe diese Rechnung nur bedingt auf.

Im Fall der reaktiven Vorgehensweise sei eine Abfrage notwendig, ob es Studierende mit besonderen Bedürfnissen gebe. Am Tisch wurde der Vorschlag diskutiert, eine solche Abfrage zu Beginn eines Studiengangs durchzuführen und dann alle Lehrenden des Studiengangs zu informieren. Das sei eine sehr niedrigschwellige Maßnahme und entlaste die Lehrenden, da sie nicht für alle potenziellen Beeinträchtigungen eine Lösung in ihrer Veranstaltung und in ihren Materialien finden und anbieten müssten. In diesem Zusammenhang wurde jedoch auf die Fluktuation unter den Studierenden hingewiesen. Proaktiv barrierefrei gestaltete Studienbedingungen wiederum könnten den Aufwand solcher Abfragen und adäquater Anpassungen erheblich reduzieren.

 

Strukturen und Expertisen für Digitale Barrierefreiheit etablieren

Um dem Thema inhaltlich und strukturell die notwendige Durchsetzungskraft zu verleihen, bräuchte es an allen Hochschulen eine beauftragte Person für Digitale Barrierefreiheit (vergleichbar mit den Datenschutzbeauftragten). Er oder sie ist Experte bzw. Expertin, Ansprechperson und Multiplikator/in, wenn es darum geht, Kompetenzen zu vermitteln, Vorlagen zu erstellen, Good-Practice-Beispiele zu sammeln und zu veröffentlichen. Wünschenswert, betonten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Thementischs, wäre auch ein zentrales Kompetenzzentrum, das bewährte Praktiken und Materialien zur digitalen Barrierefreiheit sammelt und für alle sichtbar und leicht zugänglich zur Verfügung stellt. Ein solches Kompetenzzentrum, das zum Beispiel am Ministerium angesiedelt sein könnte, sollte auch Qualifizierungsmaßnahmen zu digitaler Barrierefreiheit anbieten.

Wie es gelingen kann, Initiativen aufzusetzen und erfolgreich weiterzutragen, zeigt exemplarisch die Toolbox "Digitale Barrierefreiheit" der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Hier werden nützliche Informationen für Dozierende und Studierende bereitgestellt – das Spektrum reicht von Tipps für Lehrveranstaltungen über Checklisten für den barrierefreien Einsatz von Medien bis zu einer Übersicht assistiver Technologien. Dieses Good-Practice-Beispiel verdeutlicht, wie innovative Lösungen buchstäblich „Schule machen“ und das Rad nicht an jeder Hochschule neu erfunden werden muss.

 

Bewusstsein schaffen und nachhaltig mit Ressourcen umgehen

Darüber hinaus zeige die Erfahrung, dass Diversity-Themen im Bewusstsein der Lehrpersonen nur wenig verankert seien und entsprechende Fortbildungsangebote selten angenommen würden. Eine Fortbildungspflicht wurde diskutiert, aber kritisch gesehen. Vielmehr sollte das Thema „Digitale Barrierefreiheit“ in andere Fortbildungsangebote integriert werden, was auch dem Querschnittscharakter des Themas gerecht würde. Dabei müsse immer wieder deutlich gemacht werden, dass eine Berücksichtigung digitaler Barrierefreiheit nicht nur Studierenden und Mitarbeitenden mit Beeinträchtigung und/oder chronischer Erkrankung zugutekommt, sondern zu einer Qualitätssteigerung in der Lehre führt, die allen nützt.

Ein wichtiger Aspekt im Rahmen Digitaler Barrierefreiheit sei auch die Berücksichtigung von Sprachbarrieren für internationale Studierende. Dies gelte in besonderem Maße, wenn Informationsangebote zu Studium und Studiengängen nur in Deutsch (und bestenfalls Englisch) angeboten würden. Um der vergleichsweise großen Personengruppe von Studierenden unterschiedlicher Herkunftsländer gerecht zu werden, könnten mehrsprachige Internetseiten und integrierte Übersetzungstools angeboten werden.

Aus den Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ging hervor, dass Lehrende oft besorgt sind, die Gewährleistung digitaler Barrierefreiheit könne zu aufwändig sein. Dies gelte insbesondere, wenn versucht wird, alle Formen der Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Daher sollte der Einstieg in die digitale Barrierefreiheit möglichst niedrigschwellig gestaltet sein, um Lehrende zu entlasten und deutlich zu machen, wie bereits mit einfachen Maßnahmen viel erreicht werden kann. Insbesondere gelte es, ausreichende Ressourcen für die Steuerung und Umsetzung solcher Maßnahmen zu gewährleisten. Nur so könne "Digitale Barrierefreiheit" an den Hochschulen nachhaltig etabliert werden.

 

MASSNAHMEN UND ERFOLGSFAKTOREN

  • Etablierung eines/einer Beauftragten für Digitale Barrierefreiheit an allen Hochschulen als Expertin/Experte, Ansprechperson und Multiplikatorin/Multiplikator von Good-Practice-Beispielen.
  • Einrichtung eines zentralen Kompetenzzentrums, das bewährte Praktiken und Materialien hochschulübergreifend zur Verfügung stellt und Qualifizierungsmaßnahmen zu digitaler Barrierefreiheit anbietet.
  • Möglichst niederschwelliger Einstieg in die digitale Barrierefreiheit, um Lehrende zu entlasten und deutlich zu machen, wie bereits mit einfachen Maßnahmen viel erreicht werden kann. 
  • Ausreichende Ressourcen für die Steuerung und Umsetzung solcher Maßnahmen vorhalten, um deren nachhaltige Wirksamkeit zu gewährleisten.