Offene und unterstützende Kultur des digitalen Lernens, Lehrens und Prüfens an Hochschulen

Initiativen für einen nachhaltigen Kulturwandel
und Transfer von Good Practices

 

Gastgeberinnen und Gastgeber:

Prof. Dr. Nicole Ondrusch
Fakultät Informatik an der Hochschule Heilbronn

Peter Rempis und Verena Russlies
Zentrales Repositorium für Open Educational Resources (ZOERR)
der Hochschulen des Landes Baden-Württemberg

 

KERNAUSSAGEN

  • Gute Lehre muss sichtbar sein. Lehre ist der Forschung und deren Publikationen unverändert nachgeordnet, das Engagement in der Hochschullehre bietet für die Karriere keinen nennenswerten Vorteil.
  • Es braucht eine offene und unterstützende Kultur, die dazu beiträgt, Dozierende von formalen und organisatorischen Aufgaben in der Lehre zu entlasten, um sich auf die eigentliche Lehrtätigkeit konzentrieren zu können.
  • Projektbasierte und befristete Stellen in Didaktikzentren erschweren eine nachhaltige Entwicklung und Implementierung von digitalen Lehrinnovationen.
  • Die Entwicklung von (Lehr-)Innovationen sollte vom Gelingens- bzw. Erfolgsdruck entbunden werden: "Es muss mehr Experimentelles möglich sein!"

 
Schon vorab hatte sich abgezeichnet, dass eine "Offene und unterstützende Kultur des digitalen Lernens, Lehrens und Prüfens an Hochschulen" viele Beteiligte aus dem Hochschulumfeld bewegt. Deshalb wurden im Rahmen des World Cafés gleich zwei Tische zu dem Thema eingerichtet. An beiden Tischen wurde die gesamte Komplexität der digitalen Lehre sichtbar – und intensiv diskutiert: Sie soll innovativ, kreativ und möglichst niederschwellig sein, technologisch wie didaktisch ausgereift und selbstverständlich den Regularien der Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) sowie den jeweiligen Lehrinhalten und Prüfungsanforderungen gerecht werden. Dass es dafür eine offene und unterstützende Kultur des digitalen Lernens braucht – darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig.

 

Digitale Lehrinnovationen nachhaltig verankern und skalieren

Grundsätzlich sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer große Potenziale in der großflächigen Durchsetzung von digitalen Lehrinnovationen. In der konkreten Umsetzung aber seien auf diesem Weg viele Hürden zu nehmen, die vor allem auf Diskontinuität sowie der Unklarheit bezüglich der jeweiligen Rollen, Kompetenzen und Zuständigkeiten beruhten. So scheuten Lehrende beispielsweise eine Aufzeichnung ihrer Vorlesungen aus vielerlei Gründen – insbesondere seien hier Kontrollverlust über ihr Material und Lizenzprobleme sowohl beim verwendeten als auch beim entstehenden Material ein sensibles Thema. In diesem Zusammenhang sei mehr kollektive Weiterentwicklung statt individueller Neuerfindungen wünschenswert. Im offenen Austausch könnten Materialien, Tools und Veranstaltungsformate einem ständigen Rückkopplungsprozess unterzogen und kontinuierlich verbessert werden. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass Lehrbedingungen und Lernumgebungen divers und dynamisch seien und demzufolge Konzepte anpassungsfähig und kompatibel sein müssten.

Es gebe viele Initiativen und Projekte, die meistens aber einzelnen Lehrenden unbekannt bleiben. Oftmals scheinen sie auch untereinander nicht gut vernetzt – so ergeben sich sowohl Lücken als auch Überschneidungen. Aktuell müssten bei der Entwicklung und Skalierung von Lehrinnovationen zu viele Zahnräder koordiniert werden, erschwerend hinzu komme eine (Über-)Bürokratisierung gerade bei digitalen Projekten. Dem Tatendrang der Lehrenden würden so Steine in den Weg gelegt. Darüber hinaus seien die Hochschulen in Bezug auf technischen Support und Ausstattung sehr unterschiedlich aufgestellt, wodurch die Interoperabilität und Skalierung zusätzlich erschwert werde.

Hier könne eine offene und unterstützende Kultur des digitalen Lernens, Lehrens und Prüfens an Hochschulen dazu beitragen, die Dozierenden zu entlasten: durch Bündelung von digitalem Know-how bei zentralen Ansprechpartnern und die Unterstützung von Lehrenden und Studierenden durch entsprechende Konzepte, Services oder Dienste. Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Tisch wurde eine Zusammenfassung der Dienstangebote rund um die Digitalisierung der Lehre gefordert. Die Idee eines One-Stop-Shops etwa für den Einsatz von KI, für technische Produktionsunterstützung oder den Zugang zu speziellen Tools wurde formuliert.

Was ist umsetzbar, wer kann mich als Lehrperson unterstützen, wohin kann ich mich wenden? An dieser Stelle müssten die Organisationsstrukturen der Hochschulen zur sinnvollen Zusammenführung der Aufgaben ergänzt oder erweitert werden. Ganz entscheidend komme es darauf an, Lehrinnovationen nachhaltig zu verankern und zu skalieren – nur so lasse sich Vertrauen und Zutrauen langfristig aufbauen. 

 

Gute und übertragbare Beispiele digitalen Lernens, Lehrens und Prüfens

Im Austausch an den beiden Tischen ging es insbesondere darum, wie man die Voraussetzungen und Freiräume dafür schafft, um digitale Lehrinnovationen zu entwickeln und Good Practices nachhaltig in die Hochschulpraxis zu bringen. So haben etwa an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) die neuberufenen Professorinnen und Professoren zunächst ein reduziertes Deputat – dafür müssen sie das Lehrzertifikat der GHD Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik in dieser Zeit absolvieren. In einem anderen Beispiel, das am Tisch vorgestellt wurde, konnten über den engen Austausch zwischen den Hochschulen Prüfungsfragen für ein und denselben Studiengang erarbeitet werden.

Intensiv wurde an einem der beiden Tische über ein Beispiel guter digitaler Hochschullehre diskutiert, das Prof. Dr. Anna-Sophia Schwind von der Hochschule Ravensburg-Weingarten vorstellte. Sie führt mit Studierenden der Psychologie in frühen bis mittleren Bachelorsemestern eine mündliche Prüfung mittels eines 3D-Anwendungsprogramms durch, welche die bisherige Multiple-Choice-Klausur als Prüfungsform ersetzt. Dabei werden die Prüflinge in Rollenspielen bezüglich ihrer Kenntnis und ihres Verständnisses von psychotherapeutischer Diagnostik abgefragt. Avatare in der virtuellen Realität repräsentieren Patienten mit spezifischen Symptomen. Die Prüflinge nähern sich per Fragen mit verschiedenen Auswahlmöglichkeiten ihrer Diagnose an. Im Anschluss daran findet ein weiteres Prüfungsgespräch statt, in dem weiter nach dem Krankheitsbild gefragt wird und Abgrenzungen zu ähnlichen Symptomatiken besprochen werden.

Diese Prüfungsform für kleinere bis mittlere Studierendengruppen (im konkreten Fall sind es zwischen 30 bis 40 Studierende) hat Prof. Dr. Schwind mit ihrem Team langfristig aufgebaut und kontinuierlich weiterentwickelt. Lange wurde an der technischen Machbarkeit gefeilt, inzwischen sei der Ansatz zur Übernahme geeignet – für Prüfungen der gleichen oder auch anderer Fachrichtungen. Exemplarisch an diesem innovativen Prüfungsformat ist die Koppelung von digitalen und mündlichen Prüfungsformen. Dies kann dabei helfen, den momentanen Schwierigkeiten bei schriftlichen Prüfungen (KI, Plagiat) zu begegnen. Das Beispiel zeigt darüber hinaus, dass die Entwicklung von Lehrinnovationen auch und gerade in prüfungsrelevanten Bereichen überaus kreativ und nachhaltig gelingen kann.

Grundsätzlich sei es wünschenswert, dass die Hochschulen – gerne auch in Kooperation mit anderen Hochschulen – den Lehrenden mehr Raum geben, um die Arbeit an Lehrinnovationen von projektbasiertem Gelingens- bzw. Erfolgsdruck zu entbinden. Denn: Gerade bei der Arbeit an Lehrinnovationen sei das Etablieren einer Fehlerkultur genauso wichtig wie das Teilen von Good Practices. Lehrförderlinien könnten hier einen wertvollen Beitrag leisten, um einfach auszuprobieren. Oder – wie es Prof. Dr. Anna-Sophia Schwind formulierte: "Es muss mehr Experimentelles möglich sein!"

 

MASSNAHMEN UND ERFOLGSFAKTOREN

  • Entlastung der Lehrenden durch Bündelung von digitalem Know-how bei zentralen Ansprechpartnern.
  • Mehr (hochschulübergreifende) Vernetzungsveranstaltungen, um offenen Austausch zu ermöglichen und einen nachhaltigen Kulturwandel zu erreichen.
  • Mehr Freiraum schaffen für das Experimentieren und kooperative Zusammenführen von digitalen Lehr- und Lernformaten. 
  • Einrichtung eines One-Stop-Shops und Zusammenfassung der Dienstangebote rund um die Digitalisierung der Lehre.
  • Weg von zeitlich befristeter projektbasierter Arbeit an Lehrinnovationen hin zur nachhaltigen Strategieumsetzung.